Elytra Filament Pavillon, Victoria und Albert Museum

2016   ICD Forschungsgebäude / Prototypen
Victoria & Albert Museum, London

Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen (Prof. J. Knippers)
Institut für Building Technology and Climate Responsive Design, TU München (Prof. T. Auer)
Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (Prof. A. Menges, M. Dörstelmann)

Nachtbilder von Roland Halbe

Tagesbilder von Roland Halbe

Nachtbilder und Konstruktionsbilder by NAARO

Bilder von Victoria and Albert Museum

Projekt Video

Quelle: Vimeo

Projekt Video von V&A

Quelle: Vimeo

Konstruktion Zeitraffer von V&A

Quelle: Vimeo

Integriertes Sensorsystem von Transsolar KlimaEngineering

Quelle: Vimeo

ELYTRA FILAMENT PAVILION

Victoria and Albert Museum, London, 2016

Der Elytra Filament Pavilion basiert auf integrativer Design- und Ingenieursarbeit. Als Kernstück der V&A Engineering Season zeigt das Projekt, wie einzigartige räumliche und ästhetische Qualitäten aus der Synthese von Bau- und Klimaingenieurswesen sowie innovativen Fertigungsmethoden entstehen können. Die tiefgehenden Auswirkungen neuer Technologien auf die Konzeptionierung von Design, Konstruktion und Herstellung werden dem Besucher im Innenhof des Museums erlebbar gemacht. Anstelle einer statischen Installation erwartet den Besucher ein dynamischer Raum, dessen Strukturen sich stetig weiter entwickeln. Die zelluläre Dachstruktur wächst mithilfe einer lokal installierten Fertigungseinheit, die individuell angepasste Baudelemente basierend auf Echtzeit-Sensordaten mikroklimatischer Bedingungen sowie der Raumnutzung durch die Besucher herstellt. Die Fähigkeit des Pavillons durch lokal produzierte Elemente erweitert und rekonfiguriert zu werden, bietet einen Ausblick auf zukünftige innerstädtische Grünflächen, deren anpassungsfähige Strukturen ein erweitertes Spektrum an öffentlichen Aktivitäten im städtischen Außenraum ermöglichen.

ENTWURFSPROZESS

Der Pavillon bietet einen Ausblick in die Zukunft und bezieht zugleich Inspiration aus herausragender Architektur der Vergangenheit: den viktorianischen Gewächshäusern. Sie verkörpern den weitreichenden Einfluss der ersten industriellen Revolution auf Architektur und spiegeln den experimentellen Geist der Architekten und Ingenieure wieder, die sich die Anwendung neuartiger Materialien und Fertigungsmethoden zu eigen machten und in bahnbrechender Art und Weise vorantrieben. In Anlehnung hieran gibt die Installation einen Ausblick darauf, wie die so genannte vierte industrielle Revolution der Robotik und Cyber-Physischen Produktionssysteme die Entstehung neuer Struktur- und Materialsysteme ermöglicht. Im viktorianischen Gewächshaus ermöglicht die Konvergenz von Bau- und Umweltaspekten ein einzigartiges Erlebnis überdachter öffentlicher Grünflächen. Durch eine transparente, adaptive und wachsende Dachstruktur knüpft die Installation an diese historischen Vorbilder an und erweitert diese hin zu anpassungsfähigen sich entwickelnden Strukturen.

Als weitere Inspiration für den Entwurfsprozess dient die unübertroffene Leistungsfähigkeit und Materialeffizienz biologischer Strukturen. Neuartige computerbasierte Entwurfs-, Simulations- und Fertigungsmethoden erlauben es heutzutage das umfangreiche Reservoir biologischer Vorbilder zu untersuchen und die zugrunde liegenden Funktionsprinzipien in Entwurfs- und Ingenieursprozesse zu übertragen. Der Pavillon ist das Ergebnis von vier Jahren Forschung zur Integration von Architektur, Ingenieurswesen und biomimetischen Prinzipien. Er untersucht, wie biologische Faserverbundsysteme auf Architektur übertragen werden können. Die 200m² Pavillonstruktur basiert hierbei auf den Leichtbau Prinzipien der natürlichen Faserverbundstruktur in Vorderflügelschalen flugfähiger Käfer, den so genannten Elytren.

INTEGRATIVE INGENIEURSARBEIT

Faserverbundwerkstoffe bilden die Bausysteme der Natur. Die meisten tragenden Strukturen in der Biologie sind Faser verstärkte Systeme, deren Faserorganisation, -ausrichtung und -dichte fein auf die auftretenden Kräfte abgestimmt sind. Die daraus resultierende hohe morphologische Differenzierung und damit verbundene Ressourceneffizienz sind charakteristisch für natürliche Strukturen. Die biomimetischen Prinzipien der Verwendung von "weniger Material" durch "mehr Form", werden seit mehreren Jahren durch das Projektteam untersucht, und fließen direkt in die Konzeption der Installation ein.

Die Faserverbundstruktur der Installation besteht aus zwei Basiszellen, den Dach-Zellen und den Säulenzellen, die eine Schnittstelle zwischen Boden und der Überdachung herstellen, welche mit transparenten Dachplatten ausgestattet ist. Beide Zellentypen sind mit der gleichen Faserverstärkung versehen: transparente Glasfasern und schwarze Kohlenstofffasern. Die Herstellung beruht auf einem innovativen vom Projekt Team entwickelten robotischen Wickelprozess, der im Gegensatz zu den meisten Fertigungsverfahren für Faserverbundstrukturen keinen Formenbau benötigt, und Prozessabfälle somit auf ein Minimum reduziert. Beim Bau jeder Zelle wickelt ein Roboter harzgesättigte Glas- und Kohlenstofffasern auf ein hexagonales Wickelwerkzeug. Bei diesem Verfahren bilden die transparenten Glasfasern ein räumliches Grundgerüst, auf dem die primär Struktur aus schwarzen Kohlestofffasern aufgebracht wird, die deutlich höhere Steifigkeit und Festigkeit als die Glasfasern aufweist. Sobald die Roboter-Fertigung abgeschlossen ist und das Verbundmaterial aushärtet, kann das Wickelwerkzeug herausgenommen und wiederverwendet werden. Trotz grundsätzlicher Ähnlichkeit, ermöglicht der robotische Fertigungsprozess ein weites Spektrum an morphologischer Variation der Zellen.

Anstelle einer linearen Arbeitsweise, basiert der Entwurfs-, Ingenieurs- und Produktionsprozess des Faserverbundsystems auf einer kontinuierlichen Rückkopplungsschleife. Da dem Entwurf, sowie der Strukturanalyse und Anpassung jeder Zelle ein vollständig digitales Verfahren zugrunde liegt, kann die Maschinensteuerung für die robotische Fertigung direkt abgeleitet werden. Jede Zelle wird durch eine Differenzierung der Faseranordnung -dichte und –orientierung an ihren spezifischen Belastungszustand angepasst, was zu einer sehr materialeffizienten und leichten Struktur führt, die nur 9 kg / m² wiegt.

ANPASSUNGSFÄHIGER RAUM

Die Installation nutzt die Kompaktheit und Vielseitigkeit robotischer Fertigung als Modell für lokale Herstellungsprozesse. Während die Mehrheit der Faserverbundbauteile im Fertigungslabor des ICD in Stuttgart vorgefertigt wurde, wird die Produktion im Innenhof des V&A bei bestimmten Veranstaltungen fortgeführt. Hierbei werden einfache, kleine und leichte Faserspulen, die mit Harz vorgetränkte sind, zur lokalen Produktion von Faserverbundbauteilen verwendet, die der Erweiterung der Faserstruktur dienen.

Da es keinen vorbestimmten Endzustand gibt, ist die Dachstruktur mit faseroptischen Sensoren ausgestattet, die eine Echtzeiterfassung der Kräfte innerhalb der Struktur ermöglichen. Hierdurch können die Veränderungen der Tragstruktur durch Erweiterung und Rekonfiguration erfasst werden. Zusätzlich werden anonymisierte Daten zur Nutzung der Installation durch die Besucher mithilfe thermischer Bildsensoren und Umweltparameter wie Temperatur, Sonneneinstrahlung, Luftfeuchtigkeit und Wind durch integrierte Sensorik und Simulationsmodelle erfasst. Die Anpassung der Dachstruktur erfolgt aufgrund der Interpretation und Verknüpfung dieser Datensätze. Durch Echtzeitsensorik kombiniert mit lokaler Fabrikation wird aus dem Dach ein lernfähiges und anpassungsfähiges System, das sich im Verlauf der Ausstellung an das Besucherverhalten anpasst.

Das Dach bildet ein tektonisches Faserverbundsystem, welches architektonisch ebenso ausdrucksstark, wie strukturell effizient ist. Es bietet dem Besucher ein einzigartiges und im Laufe der Zeit variierendes Raumerlebnis. Die Installation ist ein erfahrbares Forschungsprojekt und entspricht somit der Geschichte und dem Anspruch des V&A Museums.

Victoria & Albert Museum Project Webpage
Online Sensor Data Visualization

 

ENTWURF, INGENIEURSLEISTUNG UND FERTIGUNG

Achim Menges mit Moritz Dörstelmann
ICD – Institut für Computerbasiertes Entwerfen, Universität Stuttgart
Achim Menges Architekt, Frankfurt
Team: Marshall Prado (Fertigungsentwicklung), Aikaterini Papadimitriou, Niccolo Dambrosio, Roberto Naboni, with Unterstützung von Dylan Wood, Daniel Reist

Jan Knippers
ITKE – Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen, Universität Stuttgart
Knippers Helbig Advanced Engineering, Stuttgart, New York
Team: Valentin Koslowski & James Solly (Tragwerksentwicklung), Thiemo Fildhuth (Struktursensorik)

Thomas Auer
Transsolar Climate Engineering, Stuttgart
Building Technology and Climate Responsive Design, TU München
Team: Elmira Reisi, Boris Plotnikov

Mit Unterstützung von:
Michael Preisack, Christian Arias, Pedro Giachini, Andre Kauffman, Thu Nguyen, Nikolaos Xenos, Giulio Brugnaro, Alberto Lago, Yuliya Baranovskaya, Belen Torres, IFB University of Stuttgart (Prof. P. Middendorf)

Beauftragt durch:
Victoria & Albert Museum, London 2016

FÖRDERUNG

Victoria & Albert Museum, London
Universität Stuttgart

GETTYLAB
Kuka Roboter GmbH + Kuka Robotics UK Ltd
SGL Carbon SE
Hexion
Covestro AG
FBGS International NV
Arnold AG
PFEIFER Seil- und Hebetechnik GmbH
Stahlbau Wendeler GmbH + Co. KG
Lange+Ritter GmbH
STILL GmbH

Kontaktinformation

 

Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung

Universität Stuttgart, Keplerstraße 11, 70174 Stuttgart

Zum Seitenanfang